Leitartikel INTRO Festival / 2016 / Leipzig.
Theaterstücke sind lediglich der Beginn der gemeinsamen Auseinandersetzung, aber das ist sehr viel mehr, als wir denken.*
Dieses Festival ist eine Initiative von Dramaturgiestudierenden in Leipzig. Der Geburtsort war eine Bildungseinrichtung, ein Ort der Wissensvermittlung unter einem bestimmten Vorhaben: Verbindung von Theorie und Praxis. Sicherlich keine leichte Aufgabe, die ebenso die Frage nach der Identität der Dramaturgie stellt. Was ist sie? Und wo? Kann man sie erlernen? Sind Dramaturgen Wissensträger im Theater- und Kunstbetrieb? Kann Dramaturgie sich entfalten, indem sie allein Wissen wiedergibt, also das Echo eines angeeigneten Wissens ist?
Ein Echo – das entsteht, laut frei-enzyklopädischer Definition, „wenn Reflexionen einer Schallwelle so stark verzögert sind, dass man diesen Schall als separates Hörereignis wahrnehmen kann“. Es verfügt über keine eigene Dramaturgie – vielmehr ist es ist nur die Kopie eines Tons, eines Impulses oder eines ausgesprochenen Gedankens. Ein Echo verfügt über keinen wahrhaftigen Kern, ist durch seine wiederkehrende Natur nichts weiter als Reflexion. Entsteht bei Gelegenheit und ertönt nur unter bestimmten Umständen.
Ein Intro hingegen ist nicht nur Gelegenheit, nicht nur (Wahl-)Möglichkeit: Es ist dies Verpflichtung auf eine neue Abfolge, auf etwas, das automatisch nach ihm zu kommen hat. Es gibt den Startschuss für eine neue Dramaturgie, die sich nicht aus Widerhall speisen kann, sondern eigene Impulse gibt. Um ihrer eigenen Natur gerecht zu werden, ist die Dramaturgie darauf angewiesen, sich ihr eigenes Intro zu schaffen. Denn durch pure Reflexion und Widerhall kann sie nicht überleben, verliert ihre Relevanz und ihren wahrhaftigen Kern. Dennoch kann sie beeinflusst werden, andere Töne und Schwingungen aufnehmen, sich mit ihnen vermischen in einem Wirrwarr von Lauten, welches gerade durch seine Vielstimmigkeit, seine Dissonanz und Unregelmäßigkeit einen absoluten Anspruch auf Relevanz verfolgen darf.
Überall begegnen wir dem Wort Krise: Wir vermögen es zu benennen und werden ihm gleichzeitig doch nicht Herr. Ein Klischeebild des Dramaturgen zeichnet diesen eingeschlossenen in einem Büroraum des Theaters – ist er vertieft in oder versteckt hinter in seiner Lektüre? Geflüchtet vor einem alles übertönenden Konzert, welches voll von Konflikten, Themen und Möglichkeiten steht, die ihrer ganz eigenen Dramaturgie folgen? Zurückgezogen in ein längst poröses Herrschaftshaus, welches stets droht zusammenzufallen?
Werden die Fenster des Theaters geöffnet, so dringt Straßenlärm hinein.*
Wir haben uns entschlossen, nicht nur die Fenster, sondern auch die Türen aufzureißen, und zu einer achttägigen dramaturgischen Einführung zu bitten. Denn ein Intro allein reicht nicht aus um Relevanz zu erlangen: Es sind die verschiedenen Tonarten, verschiedene Blickwinkel auf die selbe Sache, die wir dafür anhören und betrachten müssen. Die uns dazu gedrängt haben, die unterschiedlichsten Gesprächs- und Kooperationspartner ins Boot zu holen und mit denen wir auf zahlreiche gemeinsame Intros hoffen. Dieses Festival ist aus der Artikulation eines Anliegens heraus entstanden. Wir haben die Initiative ergriffen und uns dabei auch widersetzen müssen. Um unserem Publikum und auch uns selbst zu beweisen, was Dramaturgie alles kann und was sie vielleicht auch muss: Bestehende Systeme und Strukturen nicht nur kritisch aufzeigen, nicht nur hinterfragen, sondern durch Reflexion einen Vorgang vorantreiben. Dramaturgie stößt nicht nur an – Dramaturgie hält Prozesse in Bewegung, unterläuft sie und führt sie auf einen neuen Kurs, verändert den Rhythmus und löst ein Echo aus. Doch das kann sie nur, wenn sie aus einem Impuls, einem Anliegen, einer Forderung heraus geboren wird: Nur dann kann ein Intro gewährleisten, dass ihm eine Dramaturgie folgt, die lebensfähig ist.
* Die Zitate stammen aus den 27 FORDERUNGEN AN DAS THEATER von Hannes Becker und Wolfram Lotz, die im Programmheft komplett abgedruckt und von den Autoren bei der Eröffnungsveranstaltung verlesen wurden.