Das Hamsterrad

Da wir ja keine Dogmen verbreiten sondern nur referieren wollen, mal was Wissenswertes über das Hamsterrad: Es kann sich drehen […] denn Theater hat Aufgaben und Verantwortungen, die es stets aufs Neue gilt, herauszufinden. Dies dient allein dem Zweck, nicht anzusetzen, denn eigentlich sind Aufgabe und Verantwortung eindeutig klar, nur bedarf es dazu im Schuss (also nicht: bequem) zu sein, da beides einen Prozess beinhaltet, der niemals stillsteht: Theater muss seine Rolle als Dialogplattform begreifen. Eine Dialogplattform, an der die Stühle zu groß und die Tische zu winzig sind, als dass die Teilnehmer unterschiedlichster Körpergröße dort bequem Platz nehmen könnten, um einfach miteinander reden zu können. Theater muss auf diese Unterschiedlichkeit seiner Teilnehmer eingehen, durch ständige Erweiterung, Verkleinerung, Verschiebung oder Verschmelzung dieser Dialogplattform. Auch die Dialoge sind unterschiedlichster Art, verlaufen niemals stringent, sind ineinander verwoben und kennen keine Endlichkeit. Um diese Dialoge aufrecht zu erhalten und ihnen den Raum zu geben, in denen ihre Unendlichkeit sich entfalten kann, hat das Theater auf jede Antwort mindestens eine neue Frage parat. Demzufolge darf Theater auch keine Prototypen, keine Gewissheiten, keine Endgültigkeit akzeptieren. Und auch wenn die Teilnehmer von unterschiedlichster Körpergröße sind, muss dass Theater dafür sorgen, dass ihre eigentliche Größe, nämlich die Größe ihrer Rolle im Dialog, niemals über die der anderen hinauswächst. Ein Teilnehmer kann sich z.B. Autor nennen und 428 Dialogpartner haben, die vielleicht Zuschauer heißen. Das Mengenverhältnis auf beiden Seiten ist variabel verschiebbar, ebenso wie die Weichenanzahl, die als Zubringer für weitere Teilnehmer fungieren können, die sich „Mittler“ oder auch Bühnentechniker, Schauspieler oder auch Regisseure nennen. Eher oft als selten verzichten Teilnehmer jedoch auf die Benennung ihrer Rolle, weil sie erkannt haben, dass sie nämlich nur dazu dient, die eigene Größe zu schmälern und einen in das drängt, was in dieser Art von Dialogplattform nicht möglich ist: Das Verfallen in die Bequemlichkeit. In einem geometrisch und physikalisch nicht erklärbaren Selbstverständnis stehen also all diese Teilnehmer im selben Verhältnis zu einander. Wird die Größe einer dieser „Teilnehmerrollen“ zu gering oder ihr Ausmaß zu groß, bricht die Dialogplattform entzwei und das Theater hat seine Aufgaben und Verantwortungen verfehlt. Darauf folgt ein Umbau, der zunächst nicht sichtbar ist, der mit der Anbringung eines großen Transparentes an der imaginären Pforte des ehemaligen Theaters beginnt. Auf diesem Transparent steht „Selbstzweck-Maschinerie“, und darunter: „Nur für Normale“. Obwohl dieser Umbau permanente Bewegung vorgaukelt, besticht er eigentlich durch seinen permanenten Stillstand. Folgerichtig werden an die Seiten große Trittbretter angebaut, die Platz für zahlreiche „Mitfahrer“ erlauben. Obwohl auch sie vermeintlich durch ihre Unterschiedlichkeit bestechen, entpuppen sie sich jedoch relativ schnell als ziemlich gleich, wenn nicht sogar Uniform. Sie alle hören sehr schlecht und können auch nicht richtig gut Gucken. Außerdem sind sie insofern mutiert, als dass in ihrer Bauchgegend ein zweites Gehirn gewachsen ist, welches jedoch nur über Synapsen verfügt, die die Vorstellungskraft schmälern und den Zweifel begünstigen. Ihre verbalen Versuche eines Dialogs, die eigentlich nur Gewissenserleichterungen sind, scheitern durch ihre widersprüchliche Natur. Nicht, weil sie widersprüchlich sind, sondern weil sie diese verneinen: Sie reden viel und sagen wenig, klingen schlau und sind dabei eigentlich recht dumm. Während ab und an in diesem Neubau eine Frage ertönt, wird sie von zahlreichen Antworten erdrückt. Die ursprünglichen Dialogteilnehmer aber sind von der eigentlichen Plattform abgesprungen, bevor diese am Boden zerschellte und ihrem Neubau geweiht worden war. Sie haben dem Mutationsbau, an dem unter dem neuen Transparent immer noch das Wort „Theater“ zu lesen ist (welches allerdings nur noch von Normalen gelesen werden kann), den Rücken zu gekehrt und sammeln sich, wenn auch sehr langsam, aber doch beharrlich einem entstehenden Ameisenhaufen gleich, wieder zusammen und gehen wieder ihren ursprünglichen Aufgaben und Verantwortungen nach und errichten ein neues Hamsterrad.