Schmidt

Der Fluch der Schmidts

Schmidt ist ein Familienname, der recht häufig in deutschsprachigen Breitengraden vorkommt. Im ∇ wird er vergleichsweise selten getragen. 

Umso mehr stechen dabei jene Zufälle auf, die Ort mit einer Koordinate im ∇ verbinden: Etwa 280 Meter nordöstlich befindet sich die ehemalige Parzelle der Prenzlauer Straße 3 und 4. Heute steht man dort mitten auf einem Mittelstreifen der Karl-Liebknecht-Straße. 

1820 vermietete hier der Gutsherr Christian Friedrich Schmidt seine Ställe an Obdachlose (zu jener Zeit war Obdachlosigkeit ein Verbrechen und wurde mit Gefängnisstrafen geahndet). Verwundert über den steten Zulauf, den der Schmidt’sche Hof in den vorangegangenen Wintermonaten erlebt hatte, wagten Nachbar kurz nach dem neuen Jahr einen Blick in einen der Ställe und trauten ihren Augen nicht: Eine Ansammlung von “menschenähnlichen Wesen” lag zusammengekauert auf Heuböden, ein unerbittlicher Gestank lag in der Luft. 17 mittellose Familien (insgesamt 78 Menschen) zum Teil bettlägerige Personen, zahlreiche Kinder und einige Säuglinge vegetierten hier förmlich vor sich hin. Ein Geschichte, die sich nicht selten zu jener Zeit abspielte. Zahlreiche Haus- und Gutsbesitzer nutzten die Lage des Gesetztes, um für Wucherpreise auf völlig legalem Wege ihren Besitz auf diese Weise zu vermieten. Sanitäre Vorgaben, wie sie im Frauenasyl in der Füsilierstraße angewandt wurden, kamen erst Ende des 19. Jahrhunderts zum Tragen.

Dennoch war der Aufschrei in der sich gerade ausbildenden bürgerlichen Klasse Berlins groß: Durch Aufrufe und zahlreiche karitative Aktionen wurde ein Großteil aus Schmidts „Mietergemeinschaft” weitervermittelt. Einige der Kinder wurden bei gut situierten Familien aufgenommen, was sie zum Einen vor dem Waisenhaus bewahrte und zum Anderen den Weg zu einer beruflichen Ausbildung ebnete. Kranke wurden in Hospize und Spitale gebracht, wo ihnen eine würdevollen restlichen Existenz beschieden wurde. Der Fall steht exemplarisch für die karitative Nächstenliebe, der die Menschheit, die sich damals durch Klassen definierte, dabei half, ihr mitunter unzufriedenes Gewissen zu befriedigen. Oft rührte dieses schlechte Gewissen daher, dass man vermeintlich “zu viel” von irgendetwas (meist monetären) hatte, was einem, laut des eigenen Gewissens, nicht zustünde. In dem man anderen gab, die es nötiger hatten, brachte man etwas wieder ins Gleichgewicht, das entrückt schien. Wohlwissend, dass eine höhere Institution am Ende richtend das Verhalten der Menschen bewerten würde. So sah es die Theorie zumindest vor.

Gutsherr Schmidt war nicht an Gleichgewicht interessiert, auch um das jüngste Gericht dürfte er sich herzlich wenig geschert haben. Anders lässt sich sein Handeln in jenem Winter nicht erklären. Gemeinsam mit dem ihm gut bekannten Armen-Inspektor Ritterhof ging er in einem denunzierenden Bericht an die Stadtverordnung gegen jeden Nachbarn vor, die den Stall entdeckten und sich an die Behörden wandten. Nachdem dies zu nichts führte, forderte er mit dem Polizeikommissar Röhrich bei der Armen-Direktion fünfzehn Taler und acht Groschen an, die ihm durch die Mieteinbußen nun fehlen würden. Diese Forderung wurde preußisch, bürokratisch, eiskalt an jenes Hilfskommittee weitergegeben, dass sich um die Verteilung der 17 Familien kümmerte. Letztendlich sollte Schmidt recht zugesprochen werden. Ihm wurde die geforderte Summe am 9. Mai 1820 ausgezahlt. Auch der, ihm inzwischen untersagten, Vermietung an Obdachlose ging er mindestens noch bis 1824 nach.

Es ist nicht genau klar, ob es menschliche Kräfte waren oder der übel gelaunte Grund und Boden selbst, der sich gegen das Handeln Schmidts wendete. Jedenfalls wurde jene Parzelle, auf der sich seine Ställe befanden, nun verflucht. 

1922: Der Fluch schlägt zu

Wir müssen ein Jahrhundert weiter nach vorne Blicken, um uns einen bemerkenswerten Fall in diesem Fluch im Jahr 1922 zuwenden: Friedrich Schmidt führte seit 1918 einen Friseurladen in der Prenzlauer Straße 3. Das Wohnhaus auf der Parzelle war nun 4 Stockwerke hoch und stand symptomatisch für den Wachstum der Stadt. Seit drei Jahren befand sich das Areal nicht mehr am Stadtrand sondern mittendrin in der Millionen-Metropole Groß-Berlin. Eng an eng stand das Haus nun mit weiteren “Mietskasernen” des einstigen Scheunenfeldes, das durch den ersten Abbruch nun sprichwörtlich über “Platz” verfügte. Doch an der Prenzlauer Straße waren die Gassen noch eng und verwinkelt, die Linienstraße zog sich noch etwas weiter als sie es heute tut in Richtung Alexanderplatz. Der heutige Transitraum war damals ein schwebender Übergang zwischen einem Großstadtmoloch zum anderen. Genauso schwebend muss sich jene dunkle Gestalt in der Prenzlauer Straße 3 eingefunden haben, die später als männlich, zwischen 20 und 28 Jahren bezeichnet wurde und ein temporäres Zimmer in einer Unterkunft am Alexanderplatz gemietet haben soll. Am 30.05.1923 schlich sich diese Gestalt jedenfalls in den Hinterhof der Prenzlauer Straße 3 und erstach dort die dreijährige Tochter des Barbier Schmidts, Dorothea. Das Mädchen hielt sich vermutlich zum Spielen im Hinterhof auf. Wie kaltblütig und dreist die Tat war, lässt sich daran erkennen, dass der Täter jederzeit hätte gestört werden können: Sowohl von anderen Mietern, Friseurkunden oder den Eltern Schmidt, die nur ein Stockwerk darüber ihrem Tagwerk nachgingen. Dorthin schleppte sich die arme Dorothea noch, bevor sie blutend zusammenbrach und noch vor eintreten der Rettungskräfte starb. Ein noch größerer Aufschrei als bereits im Fall Hermann Blecher ging nun also durch die Medien. Trotz fieberhafter Suche und zahlreichen Hinweisen blieb der Täter unbemerkt. Die Tat blieb ungesühnt und dennoch wurden hinterrücks Stimmen laut, die sich daran erinnerten, was hier vor 100 Jahren geschah und das, wenn auch nicht mit ihm verwandt, das unglückliche Kind doch den gleichen Namen wie der geizige Gutsherr trug.

 

Quellen:

  • Fahr, Margitta-Sybille: „Pitaval Scheunenviertel“, Edition Scheunenviertel, Verlag Neues Leben Berlin 1995
  • Berliner Adreßbücher 1820 – 1922
  • Berliner Börsen-Zeitung, 27.05. – 03.06.1920
  • Vossische Zeitung, 31.05.1920